Am 27. März 2009 verstarb Pema Norbu Rinpoche, ein Dharmakönig der Nyingma-Schule. Obwohl ich über die Vollendung und Befreiung des Dharmakönigs erfreut bin, bedauere ich es, dass der Buddhismus in diesem irdischen Bereich eine Person von großer Tugend und tiefgründigem Wissen verloren hat, die tadellos die Tugendregeln beachtete. Deshalb flehe ich den Dharmakönig an, bald in den menschlichen Daseinsbereich zurückzukehren, um wieder das Rad des Dharmas zu drehen und Lebewesen zu retten. Während ich sehe, wie diese Menschen von großer Tugend uns verlassen, kommen viele Gefühle in meinem Herzen hoch. Schaut man zurück auf all die Veränderungen, die sich während der Geschichte der Verbreitung des Buddhismus auf der Erde ereignet haben, habe ich das tiefe Empfinden, dass die karmische Verbindung, die die Lebewesen mit den heiligen Dharma-Lehren der Tathagatas haben, Tag für Tag schwächer wird. Besonders deswegen schreibe ich diesen Essay mit dem Titel „Der duale Charakter buddhistischer Theorien“, um die Menschen dieser Welt aufzuwecken.
Als Buddha Shakyamuni erstmals buddhistische Theorien einführte, gab es keinen dualen Charakter der Theorien. Es gab nur die Gleichheit zwischen Theorien und der Natur (der Essenz von Allem). Die Theorien im Tripitaka, die vom weltverehrten Buddha Shakyamuni dargelegt wurden, entstammen dem Zustand der Verwirklichung des Buddhas. Sie sind eine Art Darlegung der Wege, den heiligen Zustand zu verwirklichen und Befreiung und Nirvana zu erlangen. Sie können objektive Aufzeichnungen genannt werden. Solche buddhistischen Theorien wurden aus echter heiliger Verwirklichung geboren. Sie sind keine gegenstandslosen Aufzeichnungen, die auf Annahmen gegründet sind und der Ebene des Bewusstseins entsprangen. Dies ist in den buddhistischen Schriften aufgezeichnet.
Am Anfang waren die buddhistischen Theorien und der Buddha-Dharma ein integraler Körper. Zuerst wurde ein vollständiger Körper aus Dharma-Theorien und Ritualen aus der wahren Verwirklichung von heiligen Buddha-Dharma-Zuständen geboren. Später erlangten Menschen den heiligen Zustand der wahren Verwirklichung durch diesen vollständigen Körper von Dharma-Theorien und Ritualen. Theorie und Dharma waren in Einklang. Theorie wurde verwendet, um den Dharma weiterzubringen. Der Dharma wurde manifestiert, um die Theorie zu fördern.
Doch als die karmische Verbindung sich änderte, die die Lebewesen mit dem Dharma hatten und als ein großer Teil des Dharmas und der Rituale verloren gingen, entwickelte die Selbigkeit von buddhistischer Theorie und Natur (Essenz) unmerklich und allmählich einen dualen Charakter. Ein Aspekt war die vollständige Erhaltung der Theorie und heiligen Verwirklichung, wobei jede das Beste in der anderen herausbrachte. Der andere Aspekt war die reine Theorie, die aus der grundlegenden Trennung vom heiligen Zustand der Verwirklichung aufkam. Das Aufkommen dieses dualen Charakters buddhistischer Theorien bewirkte, objektiv gesehen, dass der Buddhismus zwei Hauptschulen ausbildete. Unabhängig davon, welche Schule oder Tradition es innerhalb des Buddhismus sein mag — ob es Mahayana, Hinayana, exoterischer oder esoterischer Buddhismus ist — alle Schulen oder Traditionen gehören letztendlich zu einer dieser beiden Hauptschulen. Die erste ist die „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“. Die zweite ist die „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“. Selbstverständlich sind die Theorien, auf die ich mich hier beziehe buddhistische Theorien, die auf korrektem Verständnis und korrekten Ansichten beruhen. Ich bringe keine dritte Kategorie von Missverständnissen und andersgläubigen Ansichten herauf, die gegen die Sutra-Lehren gehen.
Die „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ ist in Übereinstimmung mit den Sutras und dem Abhidharma. Diejenigen dieser Schule wenden Erkenntnisse an, die auf korrekten Ansichten beruhen, um Kultivierung, die Natur des Geistes und die absolute Realität in direkter Weise zu verstehen. Sie verwirklichen Heiligkeit, die Intelligenz und Theorie transzendiert. Außerdem manifestieren sie ihre tatsächliche Verwirklichung und beweisen, dass sie das höchste Nirvana erreicht haben. Diese Schule verwendet die orthodoxen Theorien, die im Tripitaka enthalten sind, und die esoterischen Schriften als Grundlage. Jedoch ist deren Ziel nicht das nutzlose Sprechen über Theorien. Diejenigen dieser Schule müssen ihren heiligen Zustand der Verwirklichung offenbaren. Das Ziel der Kultivierung und Praxis dieser Schule ist es, die Fesseln von Samsara, sowohl im Körper, als auch im Geist, wirklich zu transzendieren. Diese Schule hat eine ganzheitliche Übertragungslinie, ganzheitliche Lehren und ganzheitliche Rituale. Diejenigen dieser Schule sind in der Lage, übernatürliche Weisheitskräfte zu offenbaren, die sowohl die materiellen, als auch die mentalen Bereiche transzendieren. Es ist eine Schule, die wahrhaft mit dem Wesen des Tripitaka, den esoterischen Schriften und den diversen Kommentaren und Abhandlungen übereinstimmt. Dies ist die Schule des vollkommenen Buddha-Dharmas, wo Theorie und Natur (Essenz) übereinstimmen. Dies war die ursprüngliche Eigenschaft buddhistischer Theorie. Solcher Buddha-Dharma spielte eine entscheidende Rolle bei der Befreiung und Vollendung von Lebewesen. In diesem Buddha-Dharma ist enthalten der Buddha-Dharma von Buddha Shakyamuni während des Zeitalters des Wahren Dharmas, der Buddha-Dharma übertragen von Guru Padmasambhava, der Buddha-Dharma übertragen vom Ehrwürdigen Atisha, Meister Marpa, Meister Milarepa, Meister Tsongkhapa, Meister Nairatmya, Meister Rigdzin Jigme Lingpa, Bodhidharma, Xuan Zang, Hui Neng, Meister Xu Yun und der Buddha-Dharma der von anderen wahrhaft heiligen Wesen und Patriarchen im Lauf der Geschichte übertragen wurde. Dieser gesamte Buddha-Dharma ist der Buddha-Dharma der „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“. Bedauerlicherweise ist diese Schule gegenwärtig auf der Erde sehr rar und selten gesehen. Die „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ hat deren Platz eingenommen und ist zum Mainstream geworden.
Die „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ verwendet ebenfalls die orthodoxen Theorien, die im Tripitaka und den esoterischen Schriften enthalten sind als deren Grundlage. Diejenigen dieser Schule wenden Erkenntnisse an, die auf korrekten Ansichten beruhen, um sich der Natur des Geistes anzunähern und diese in direkter Weise zu verstehen, in der Hoffnung, dass sie am Ende Nirvana verwirklichen werden. Der Buddha-Dharma dieser Schule kann nur Theorien und das, was aus Denkvorgängen hervorgeht ausdrücken. Jene dieser Schule verfügen über keine tatsächliche heilige Verwirklichung, die sie zeigen könnten. Folglich können sie nur die Verwirklichungszustände und Errungenschaften der Patriarchen aus früheren Generationen als typische Beispiele verwenden. Der meiste Buddha-Dharma der Gegenwart gehört zu dieser Schule. Dies ist ein vorherrschendes Phänomen im gegenwärtigen Buddhismus.
Jedoch müssen wir einsehen, dass obwohl die Theorien dieser Schule auch auf korrektem Verständnis und korrekten Ansichten beruhen, es sehr schwierig ist für diese Schule, vollständige Befreiung hervorzubringen. Es ist leicht für diese Schule in sinnlose, intellektuelle Oberflächlichkeiten zu verfallen. Es bleibt trotzdem fraglich, ob jene dieser Schule die Befreiung des höchsten Nirwanas wirklich erlangen können. Das ist so, weil es äußerst schwierig ist, Menschen lediglich durch Stützen auf Theorien zum Zustand eines heiligen Wesens zu führen. Dazu kommt, dass diese Theorien von verschiedenen Menschen ausgedrückt wurden und deshalb variieren. Zum Beispiel sind die Sichtweisen, wie sie in den Prajna-Schriften ausgedrückt wurden und die Schriften der Mittleren Schule (Madhyamaka) nicht dieselben. Die Sichtweise der “Anderen Leerheit” hat ihren eigenen Weg, die Dinge zu erklären.
Ich werde die modernen Begriffe „Software“ und „Hardware“ verwenden, um eine Analogie zu geben. Welche dieser beiden Schulen der Theorien ist praktisch die Software, die die positiven Ergebnisse der Hardware erzielen kann? Es ist sehr schwierig das zu bestimmen, indem man sich nur auf die Software selbst stützt. Nur wenn die positiven Ergebnisse der Hardware wirklich erzeugt wurden, kann gezeigt werden, ob eine bestimmte Theorie (Software) richtig oder falsch ist. Außerdem sollte das, was der Dharma des Buddha-Dharmas genannt wird, Dharma sein, der das Gewöhnliche transzendiert und zur Befreiung führt. Theorien alleine können diese Außeralltäglichkeit nicht ausdrücken.
Dieses Phänomen der Suche nach Befreiung allein durch Theorien und Ansichten ist hauptsächlich das Ergebnis des Verlusts vieler Dharma-Lehren und Rituale im Laufe der Überlieferung des Buddha-Dharmas. Im Falle des tibetisch-esoterischen Dharmas gab es seit der Anfangsphase bis jetzt nicht viele Änderungen im theoretischen Teil des esoterischen Dharmas. Die größte Änderung ergab sich im Teil der echten Verwirklichung. Als die Patriarchen des tibetisch-esoterischen Buddhismus Dharma in der Vergangenheit überlieferten, gab es unzählige Manifestierungen von übernatürlichen Verwirklichungskräften. Diese erstaunlichen übernatürlichen Verwirklichungskräfte bewirkten, dass die Menschen dieser Welt den tibetisch-esoterischen Dharma als heilig und besonders schätzten. Guru Padmasambhava und der Ehrwürdige Atisha zeigten sehr viele übernatürliche Kräfte. Meister Marpa praktizierte einen Dharma wodurch er Tiere zurück ins Leben holte, die bereits tot waren. Patriarch Milarepa flog in die Luft und trat in das Horn eines Bullen ein, um Hagel auszuweichen. Guwen Rinpoche flog in die Luft und nahm seine ganze Familie mit, einschließlich des Zelts und der Haustiere. Beide der vierten Dodrupchen Dharmakönige zeigten wundersamste Verwirklichungskräfte und so weiter und so fort. Man kann zahllose Beispiele solcher heiligen Verwirklichungskräfte geben.
Die ursprüngliche besondere Eigenschaft des Buddha-Dharmas war, dass er von der „Schule der Theorien und echten heiligen Verwirklichung“ war, der tatsächliche Verwirklichungskräfte manifestierte. Mit der Ankunft im Zeitalter des Dharma-Niedergangs sind viele Dharmas jedoch nicht mehr vollständig. Deren Ausübung wird keine Verwirklichungskräfte hervorbringen. Viel Buddha-Dharma, besonders der esoterische Dharma, hat begonnen in Richtung der „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ überzugehen. Nehmen wir als Beispiel den farbigen Sand, der dazu verwendet wird, ein Mandala während einer innertantrischen Initiation in der heiligen Form zu bilden. Während der Zeit Guru Padmasanbhavas erforderte diese innertantrische Initiation, dass einige Dinge gemacht wurden. Auf der Oberfläche eines großen flachen Steins würde farbiger Sand verwendet werden, um die Form eines Mandalas oder einer Vajra-Keimsilbe zu gestalten. Eine Person würde dann heilige Verwirklichungskräfte anwenden, die bewirken würden, dass die Gestaltung auf der Oberfläche des Steins den Stein durchdringt und dieselbe Gestaltung auf dem Sand der Mandala-Tafel unterhalb des großen flachen Steins formt. Diese Sand-Gestaltung auf der Mandala-Tafel würde dadurch zu Vajra-Sand werden, der durch den Stein hindurch ginge.
Jedoch gibt es gegenwärtig keinen ganzheitlichen Dharma. Menschen können keine heiligen Verwirklichungskräfte durch die Ausübung von Dharma erzeugen. Deshalb können innertantrische Initiationen in der heiligen Form nicht durchgeführt werden. Beim oben beschriebene Vorgang, farbigen Sand zu verwenden, um ein Mandala zu gestalten, ist man dazu übergegangen den farbigen Sand direkt auf die Mandala-Tafel zu rieseln, um ein Mandala zu gestalten. Von daher gibt es nicht die geringste Manifestierung von heiligen Kräften.
Ein anderes Beispiel sind Vajra-Pillen, die in innertantrischen Initiationen verwendet werden. Vor sechzig oder siebzig Jahren, konnten die meisten Menschen von echter und heiliger Tugend Vajra-Pillen zum Leben erwecken, indem sie sie telekinetisch zum Zittern brachten oder umher bewegten. Im heutigen tibetisch-esoterischen Dharma ist eine Vajra-Pille nichts weiter, als eine medizinische Pille, die ein symbolischer Ausdruck des Dharmas ist.
Ein anderes Beispiel sind „Secret-Division“-Initiationen in Bezug auf die Götter des Reichtums. Dies ist eine Dharma-Quelle des innertantrischen Dharmas im heiligen Sinn. Der Praktizierende, der so eine Initiation erhält, wird an Ort und Stelle im Mandala einen heiligen Zustand erzeugen. Darüber hinaus wird ein Goldschatz oder eine schatzspeiende Manguste, die aus drei weißen Sachen und gerösteten Gerstenmehl hergestellt wurde, sich herumwälzen und vor dem Praktizierenden in die Luft springen und dadurch einen heiligen physischen Zustand demonstrieren, der nicht durch Menschen erzeugt wurde. Der Praktizierende, der die Initiation erhält, wird an Ort und Stelle einen „Dharma-Mutter-Samen“ einnehmen. Durch diese Dharma-Ausübung wird der Gott des Reichtums naturgemäß herabsteigen und dadurch den Zustand der Vervollkommnung (Completion Stage) vollenden. Diese Art von Dharma ist jedoch verloren gegangen.
Es sind nicht nur diese wenigen Dharmas. Die meisten innertantrischen Dharmas sind bereits verkommen. Vollendete, die den Regenbogenkörper erlangt haben, können im Grunde nicht gefunden werden, selbst im Kloster Kathok nicht, dass das Kloster von Padmasambhava war und der Ort, an dem mehr Menschen den Regenbogenkörper erlangt haben, als sonst irgendwo. In neuerer Zeit verwandeln viele Dharmakönige sich nicht in einen Regenbogen und fliegen zum Zeitpunkt ihres Todes nicht weg. Es gibt heute viele Menschen, die bei jeder Gelegenheit ihre Hand– oder Fußabdrücke auf Steinen hinterlassen, um ihre Verwirklichungskräfte zu zeigen. Doch solche Verwirklichungskräfte wurden nicht unter der Beobachtung von Meistern und Zeugen offenbart, die zu jener Zeit anwesend waren. Welche Glaubwürdigkeit besitzen sie?
In einem Interview sprach der berühmte Rinpoche Kasuo vom Kloster Longwu der Geluk-Schule über die besonderen gesellschaftlichen Umstände, die während den fünfziger und sechziger Jahre in Tibet vorherrschten. In Folge dieser Umstände wurde eine große Anzahl von Sutras, Abhandlungen und Dharma-Anleitungen verbrannt. Viele Menschen von großer Tugend waren nicht in der Lage Dharma ganzheitlich weiterzugeben, bevor sie sterben mussten. Jene Menschen von großer Tugend, die nach Indien flohen, nahmen nicht viele Dharma-Anleitungen mit sich mit. Daraufhin blieben höchstens noch zwanzig oder dreißig Prozent des tibetisch-esoterischen Dharmas in der Welt. Die meisten dieser Dharmas sind für immer verloren.
Es ist dieser Art von Dharma-Verlust zuzuschreiben, dass der meiste heutige Buddha-Dharma keine Menschen hervorbringt, die tatsächliche Verwirklichungskräfte zeigen können. Offen gesagt verstehen Menschen den Dharma nicht und verlieren sich über lange Zeit in leeren Theorien. Viele Leute missverstehen den Buddha-Dharma als etwas einfach zu Verstehendes, dass in seiner Natur theoretisch oder geistig ist. Selbstverständlich sind sie am Thema der Verwirklichungskräfte nicht interessiert oder empfinden es selbst als äußerst normal, diese nicht zu besitzen. Diese Art zu denken ist in der Tat sehr falsch. Theorien können verwendet werden, um Heilige von gewöhnlichen Menschen zu unterscheiden. Jedoch ist der wichtigste Weg der, die Authentischen von den Falschen zu unterscheiden, sie tatsächlich heilige Verwirklichungskräfte offenbaren zu sehen.
Nehmen wir als Beispiel die Leerheit. Jeder Praktizierende mit ein wenig Wissen, kann viel über die Theorien bezüglich der Leerheit sagen. Sind diese wohl ausgestalteten und beeindruckenden Theorien, Verständnisse und Sichtweisen am Ende jedoch richtig oder falsch? Dies ist etwas, das durch Verständnis und Ansichten nicht bestimmt werden kann. Dies ist ebenfalls etwas, das durch keine bewusste Erfahrung, die aus Ursachen und Bedingungen entstanden ist, bestimmt werden kann. Nur wenn jemand in Leerheit und wahrer So-heit verweilt und übernatürliche Weisheitskräfte erzeugt, kann man wirklich verstehen, ob ein Verständnis oder eine Ansicht richtig oder falsch ist.
Es gab eine Zeit, in der Ananda die Heiligkeit noch nicht verwirklicht hatte. Die Arhats schlossen ihn aus der Halle aus, in der sie die Sutras zusammenstellten. Nachdem er die wahre So-heit realisiert hatte, kehrte er zurück zur Halle und stand außerhalb vor ihrer Tür, als der Ehrwürdige Mahakasyapa ihn aufforderte, die Tür durch das Schlüsselloch zu betreten, um zu beweisen, dass er erleuchtet ist. Ananda betrat die Halle dann durch das Schlüsselloch. Jene, die die Leerheit verwirklicht haben und den Knoten gelöst haben, müssen übernatürliche Kräfte besitzen, die sie befähigen eine andere Dimension zu betreten, die durch gewöhnliche menschliche Fähigkeiten nicht zu erreichen ist. Außerdem müssen sie diese „Software-Fähigkeit“ in der Form von tatsächlichen und außergewöhnlichen Kräften besitzen. Nur dann können sie beweisen, ob eine gegebene „Software-Theorie“ korrekt und praktikabel ist.
Demnach besteht der Unterschied in diesem Fall zwischen der „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ und der „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ darin, dass die erstere beim theoretischen Verstehen aufhört. Ob Leute der „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ tatsächlich den heiligen Zustand verwirklichen und in ihn eintreten, bleibt ungewiss. Es ist nicht so, dass die Menschen dieser Schule sich sicher fühlen und deshalb keine heiligen Kräfte offenbaren. Vielmehr offenbaren sie keine heiligen, aus der Erleuchtung erzeugten Kräfte, weil der unvollständige Dharma dieser Schule deren Anhänger nicht befähigt solche Kräfte durch ihre Praxis zu verwirklichen. Die „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ verbreitet ebenfalls korrekte Dharma-Theorien. Jedoch hört sie definitiv weder beim reinen Verstehen, beim schnellen, scharfen und schneidenden Schlagabtausch über den Dharma auf, noch verfängt sie sich in Theorien über das Verstehen der Leerheit. Vielmehr verwirklichen die Menschen dieser Schule, indem sie ganzheitlichem Dharma und Ritualen folgen, wahrhaftig die Essenz der Natur der So-heit, transzendieren die Stufe des Bewusstseins, lösen den Knoten des Leidens, erlangen Heiligkeit sowie die daraus resultierende strukturelle Veränderung von Körper und Geist und erreichen tatsächlich die Dimension der Heiligkeit, die jenseits des Kreislaufs der Wiedergeburten ist.
Obwohl die „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ und die „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ basierend auf den orthodoxen buddhistischen Theorien nach Nirwana streben, gibt es trotz alledem aufgrund des Dharmas dieser beiden Schulen große Unterschiede bezüglich der Zeit, die benötigt wird, um Errungenschaften zu erlangen und dem Grad der Errungenschaften. Weil die „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ auf reines theoretisches Verständnis und Prüfung beschränkt ist, ist es außerdem oft sehr schwierig für deren Anhänger die Dinge von einem reinen, befreiten Zustand der Heiligkeit aus zu betrachten und die ursprüngliche Bedeutung einiger überweltlicher (anders-weltlicher) Dharmas zu verstehen. Dies führt sie leicht dazu, falsche Ansichten und Verständnisse anzunehmen. Wenn sie unachtsam sind, können sie selbst in häretische Ansichten verfallen.
In diesem Zeitalter des Dharma-Niedergangs ist es sehr selten geworden, dass man in der Lage ist den ganzheitlichen Dharma der „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ zu lernen. Hinzu kommt, dass diese Schule nicht etwas Fixes ist. Vielmehr ist es etwas, das sich entfaltet. Es ist wie mit den Buddha-Dharmas, die ich oben erwähnt habe. Als die Patriarchen Buddha-Dharma übertrugen, waren sie immer noch Teil der „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“, in der Theorie und Natur (Essenz) Eins waren. Zu der Zeit gab es zahllose Manifestierungen von echten Verwirklichungszuständen. Die Mandala-Dharma-Regeln waren streng und exakt. Es gab eine systematische Unterscheidung zwischen dem, was innertantrisch, äußertantrisch und innertantrisch in der heiligen Form war. Jedoch gingen Dharmas schrittweise verloren. Dharmas, die an spätere Generationen weitergegeben wurden, sind zu leeren Theorien der „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“ geworden.
Viele Menschen von großer Heiligkeit und Tugend denken, dass aufgrund des Verlustes des Buddha-Dharmas der „Schule der Theorien und der echten heiligen Verwirklichung“ nur etwa ein oder zwei Prozent des Buddhismus in der heutigen Welt ausmachen im Vergleich zur „Schule der Theorien, Ansichten und des Verstehens“. Sogenannte „außerordentlich Tugendhafte“ innerhalb des Buddhismus, die häretische Sichtweisen und Verständnis haben, tauchen überall auf. Es ist bedauerlich diese Entwicklung im heutigen Buddhismus zu sehen.
Lazhen